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Über die Barrikaden

Joan Lingard

Romeo und Julia in Nordirland
Liebe über die Barrikaden hinweg

Sie sind keine Königskinder, und Romeo und Julia heißen sie auch nicht. Das Pathos, auch der literarische Anspruch des Dramas sind geringer. Doch ein Spiel mit hohem Einsatz ist ihre Liebe allemal. Sie heißt Sadie Jackson, ist sechzehn Jahre alt und arbeitet als Verkäuferin in der Hutabteilung eines Kaufhauses. Er, der siebzehnjährige Kevin McCoy, verdient sein Geld bei einem Schrotthändler. Andere Jobs gab es nicht, die Arbeitslosigkeit ist groß, doch an Selbstbewußtsein, Beherztheit, ja Wagemut steht keiner dem anderen nach. Das ist gut, denn dies sind Eigenschaften, die sie noch brauchen werden.

Die beiden, die sich schon als Kinder kannten (und bekämpften) - ihre abenteuerliche Vorgeschichte füllt den ersten Band der Sadie- und Kevin-Serie -, hatten sich aus den Augen verloren. Jetzt, drei Jahre später, begegnen sie einander wieder und entdecken, daß sie sich gern haben. Der Romanze stünde eigentlich nichts im Wege, wenn der Ort der Handlung nicht gerade Belfast wäre, Belfast im britischen Norden lrlands, der seit Beginn der siebzigerJahre von bürgerkriegsähnlichen Unruhen erschüttert wird. Der irischstämmige Kevin ist natürlich katholisch, Sadie protestantisch. Romeo und Julia auf nordirisch also, das Paar als Protagonisten einer Welt, die von einem unsinnigen Glaubenskrieg gespalten ist, in dem es in Wirklichkeit schon immer mehr um ökonomische und soziale Privilegien ging als um Religion. So ist in dieser Liebesgeschichte denn auch weit weniger von den zarten Gesten erster Liebe die Rede als von denen alltäglicher Gewalt.

Joan Lingard, in Belfast aufgewachsen und heute in Edinburgh lebend, ist in diesem zweiten in sich abgeschlossenen Band der Reihe sichtlich um eine gerechte Verteilung politischer Sympathien bemüht; allerdings scheint es, als schlage ihr Herz ein wenig starker auf seiten der Schwächeren, der katholischen Emazipationsbewegung namlich. Immer aber versucht sie zu verstehen, zu differenzieren rund grobe Klischees abzutragen. Nach der Lektüre wird hoffentlich keiner noch glauben, daß alle „Micks“, wie die Katholiken mit einem Schimpfvvort dort genannt werden, zwölf Kinder haben und Sozialempfänger sind. Und was die unbeliebten britischen Soldaten im Land betrifft: „Vermutlich wären sie lieber zu Hause".

Übersetzt aus dem Englischen von Cornelia Krutz-Arnold.


Buxtehuder Bulle G. B. - Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 22. 12. 1986

Zwischen den Fronten

Politische Konflikte bleiben Kindern und Jugendlichen nicht verborgen. Oft genug werden sie selbst Opferdieser Auseinandersetzungen. So wissen Sadie und Kevin, ein protestantisches Mädchen und ein katholischer Junge in Nordirland, sehr wohl um die Gefühle und Abneigungen ihrer Eltern und Nachbarn im eigenen Viertel in Belfast. Die trennenden Antipathien aber mögen die beiden für sich nicht akzeptieren. So geraten sie mit ihrer Zuneigung zwischen die traditionellen und oftmals lebensbedrohlichen Fronten.

Joan Lingard aus Edinburgh schrieb diese Geschichte unter dem Titel „Über die Barrikaden“ als Folgeband einer ersten erfolgreichen Erzählung „Der zwölfte Juli“, um bereits Kindern ab zwölf Jahren die komplizierte Welt der Nordiren nahezubringen. Ihr gelingt es, die Zerrissenheit der Gefühlswelt dieser beiden jungen Leute so zu schildern, daß nicht nur eine spannende Geschichte erzählt, sondern zugleich auch das Verständnis für die tiefwurzeinde Spaltung der Nordiren in Protestanten und Katholiken geweckt wird. Ein kurzer historischer Abriß erläutert im Anhang die wichtigsten Daten.

Die Autorin

Wie viele ihrer Kollegen, fing Joan Lingard schon als Kind an zu schreiben. Doch ihre Geschichten spielten immer nur an Orten, an denen sie noch nie gewesen war: in Cornwall, den Sümpfen von Yorkshire und selbst in Brasilien. All diese unbekannten Gegenden fand sie viel interessanter als das langweilige Belfast, wo sie von ihrem zweiten bis achtzehnten Lebensjahr wohnte. Dort passierte nie Aufregendes!

Später schrieb Joan Lingard dann doch einen Roman über die Provinz Ulster, „The Lord on our side", ihr sechster Roman für Erwachsene. Die Freundin und Autorin Honor Arundel las das Buch und schlug ihr daraufhin vor, ein Kinderbuch zu schreiben, das ebenfalls in Ulster spielt. Es entstand „The Twelfth Day of July" (dt. „Der zwölfteJuli"). Der Kinderroman war so erfolgreich, daß sie die Handlung, die Freundschaft zwischen der protestantischen Sadie und dem katholischen Kevin vor dem Hintergrund des Nordirlandkonfliktes, in vier weiteren Romanen fortführte. „Across the Barricades" (dt. „Über die Barrikaden")„ „Into Exil", „A Proper Place" und „Hostages of Fortune".


Die Autorin über sich:

lch wurde 1932 in Edinburgh geboren, wuchs aber in Belfast auf. Ich ging dort zur Schule und lebte in dieser Stadt bis zu meinem 19. Lebensjahr. Mit 11 Jahren begann ich zu schreiben und wußte von da an, daß ich Schriftsteller, insbesondere Romanschriftsteller werden wollte.
Mein erstes Buch wurde 1963 veröffentlicht und war ein Roman für Erwachsene. Es folgten weitere sechs Romane für Erwachsene, bevor ich mein erstes Jugendbuch veröffentlichte: „The Twelfth Day of July", das erste von fünf Büchern über den katholischen Jungen Kevin und das protestantische Mädchen Sadie. Diese Reihe wurde in der ganzen Welt erfolgreich.

„Across the Barricades" wurde für die Bühne bearbeitet und gastierte in verschiedenen Teilen Schottlands und Englands. Auch in Nordirland sind meine Bücher populär, was mich besonders erfreut. Gerade habe ich mein 27. Buch fertiggestellt, insgesamt 17 Jugendbücher und 10 Erwachsenenromane. Ich habe außerdem Stücke fürs Fernsehen geschrieben. Meinen Vierteiler „Maggie" - ein Stück über ein Mädchen aus Glasgow - habe ich 1982/83 für eine 18teilige Fernsehserie der BBC bearbeitet. Ich war vier Jahre lang Vorsitzende der Autorengesellschalt in Schottland, fünfJahre Mitglied des schottischen Kunstausschusses und dessen Literatur-Komitees, außerdem zwei Jahre Vorstandsmitglied beim Edinburgher Buch-Festival. Des weiteren wirkte ich aktiv bei der Anti-Atom-Bewegung mit, gründete eine Organisation der schottischen Schriftsteller gegen die Stationierung atomarer Waffen in Schottland. zu der sich mehr als 70 % der Schriftsteller zugehörig bekannten. Ich beteiligte mich an einer Kampagne gegen das Atomkraftwerk. das damals außerhalb Edinburghs gebaut wurde. Diese Sorge hierüber habe ich in meinem nachsten Buch „The Guilty Party" geschildert. Es handelt von einer Gruppe junger Leute. die eine Kampagne gegen ein Atomkraftwerk initiieren. ln diesem Buch habe ich die Erlebnisse und Erfahrungen meiner jüngsten Tochter Jenny niedergeschrıeben - die mit 18 Jahren in Greenham Common verhaftet und in das Holloway-Gefängnis in London eingeliefert wurde.